Sonntag, 26. September 2010

Ende aller Hoffnung

Als das Bundesverfassungsgericht am 9. Februar 2010 die Hartz IV Sätze als menschenunwürdig niedrig beschied und festlegte, dass auch ein Hartz4 Empfänger einen Rechtsanspruch hat, in einem Mindestmaß am gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilzuhaben, dachten vielleicht viele verarmte Arbeitslose - darunter längst Ingenieure und andere Akademiker -, sich endlich wieder wenigstens ein Mal im Jahr die Eintrittskarte zu einem Konzert, einer Theateraufführung, ja ihrer Familie auch nur einen mehrfachen Besuch des Freibads gönnen zu können.

Nun hat die Bundesregierung das Urteil – wie sie sagt – umgesetzt. Hartz4 Empfänger erhalten sage und schreibe 5,- Euro mehr im Monat. Das sieht nicht nach einer spürbaren Veränderung bezüglich der Lebensqualität aus.
Man denke, die selben Parlamentarier, die sich selbst vor weniger als einem halben Jahr, nämlich am 9. Mai 2010 ihre eigenen Bezüge von 8.159,- Euro um 334,- Euro (sprich rund 10,- Euro pro Tag) erhöht hatten, nachdem sie sich bereits im Jahr 2008 eine auf die Jahre 2008/2009 verteilte Erhöhung um 607,- Euro genehmigt und damit begründet hatten, einen Anspruch auf Ausgleich der gestiegenen Lebenshaltungskosten und an den Zuwachs der Wirtschaftsleistung zu haben, verweigerten Gleiches den Personen, die ohne eine soziale Absicherung, wie sie sich die Parlamentarier im Falle eigener Arbeitslosigkeit durch Ausscheiden aus dem Parlament selbstverständlich auch gesetzlich geregelt haben, arbeitslos wurden.

Der Hartz4 Empfänger soll nach Beschluss nun statt 345,- Euro ganze 350,- Euro (bei kostenfreier Wohnung) im Monat zur Verfügung haben.
Nun, zugegeben, es ist unfair, die Bundesregierung so schäbig darzustellen. Erstens, läppert sich die Diätenerhöhungen vom Juli 2010 bei der vergleichsweise geringen Abgeordnetenzahl nur auf 2,4 Millionen Mehrkosten für den Steuerzahler zusammen. Hingegen addiert sich die Aufstockung von Hartz4 zu Milliardenbeträgen. Aber, dennoch bleibt ein Unterschied: Wohl die meisten Hartz4 Empfänger würden, wenn es um Bremsung der Kosten geht, zuerst bei sich sparen und versuchen, so weit es geht ihren Schutzbefohlenen ein würdiges Leben zu ermöglichen. Und das tut ihnen sicher immer weh. An diesem Modell hätten sich die Parlamentarier ein Beispiel nehmen können und zuerst bei ihren eigenen Bezügen auf die Kostenbremse treten sollen, zumal es ihnen bei mehr als 8.000,- Euro Monatsbezügen (ohne die teils mehrfach so hohen Vergütungen aus Nebenbeschäftigungen) sicher keinesfalls weh getan hätte.

Zweitens hat sie – so sagt die Bundesregierung – ja die Bezüge realiter um weit mehr als 5,- Euro im Monat angehoben. Sie hat nur vor der Erhöhung die sinnlosen Ausgaben der Hartz4 Empfänger bereinigt. Diesen sozusagen als Universalvormund – nichts-desto-trotz unkontrollierbar - verboten, weiter Geld für Alkohol und Zigaretten auszugeben. Natürlich ohne anzugeben, dass sie Gleiches tun könnten.
Unterstellt man nun, der Hartz 4–Empfänger sei starker Raucher und Kneipengänger, so kommt er – so sicher die Überlegung der Parlamentarier – täglich auf fünf bis zehn Euro für Zigaretten und verbraucht noch mal das Gleiche für seinen Kneipengang (dem ja kein kulturelles und sozial zwischenmenschliches Bedürfnis zu Grunde liegt). Durch das nun ausgesprochene Verbot, an das sich ja jeder Hartz4 Empfänger unbedingt halten muss und es natürlich auch wird, spart er monatlich mindestens 300,- Euro. Zählt man diesen Betrag nun zum neuen Hartz4 Satz hinzu, so steht ihm durch die gesetzliche Neuregelung de facto eine neue Kaufkraft in Höhe von wenigstens 650,- Euro zur Verfügung. Das ist mehr als eine Verdopplung seiner Bezüge. Davon können die Parlamentarier nur träumen, die sich selbst ja nur 8% geleistet hatten.

Sehr spendabel und großzügig, hätte es nicht zwei Denkfehler. Es gibt sicher einige Hartz4 Empfänger, die nie geraucht haben und sich den Kneipengang aus Armut und Verantwortung längst abgeschminkt hatten. Für die – in den Augen der Bundesregierung sicher die besseren Bürger – bleibt es bei 5,- Euro Zuwachs. Das Geld reicht nicht einmal für das Schreiben einer Stellenbewerbung mehr im Monat.
Und noch einen Denkfehler hat das Ganze. Schon Wilhelm Busch hatte vor rund 160 Jahren mehr Weitblick als die Parlamentarier, als er konstatierte ‚wer Sorgen hat, hat auch Likör‘.
Wer nicht bereits Alkoholiker war, bevor er erstmals Hartz4 erhielt, der wurde es unter Umständen wegen seiner täglich Sorgen mit Hartz4. Nun ist Alkoholkonsum allerdings anerkannte Sucht und daher leider trotz ‚Anweisung‘ der Bundesregierung nicht so einfach zu beenden. Wenn das Parlament nun schlicht die weiteren Ausgaben für die, von der Bundesrepublik massiv (wegen der Steuereinkünfte) geförderten, Süchte Alkohol, Nikotin und dazu gehört auch noch die durch das Lottoangebot der Bundesländer geförderte Spielsucht ignoriert, so werden diese Kostenbelastungen für die Betroffenen nicht dadurch obsolete. Die Würde wird an den Hartz4 Empfänger weiterhin vorbeigehen.
Die Bundesregierung sollte sich vielleicht (anstatt mit Keynes) mit dem sehr viel weiter denkenden Henry Ford befassen, der heute als Prototyp des rationalen Markwirtschaftlers gesehen wir. In seiner 1923 veröffentlichten Biografie ‚Mein Leben und Werk‘, das nach dem Life-Magazin zu den einhundert bedeutendsten Büchern der Welt zählt, beschreibt er sehr detailliert, dass nichts wichtiger ist, als den Armen Geld zu geben (was er in seiner Firma auch vorbildlich tat, indem er überdurchschnittliche Löhne und Gewinnbeteiligungen bezahlte) , weil man ansonsten keine Kunden habe, die die gefertigten Produkte kaufen könnten.
Es ist daher volkswirtschaftlich unwirksam, einem satten Parlamentarier mehr Geld zu geben. Er legt es bei seiner Bank an, die das Geld umgehend im Ausland investiert, weil dort höhere Zinsen bezahlt werden.
Ein Hartz4-Empfänger hat einen so lange aufgestauten Nachholbedarf, dass er das Geld sofort wieder in den Waren-/Geldkreislauf einbringt, was letztlich heimischen Betrieben und Arbeitsplätzen zu Gute kommt und Einkommen und Steuern generiert, die allen nutzen, - nicht zuletzt den Parlamentariern selbst.
Eine drastische Erhöhung der Hartz4 Sätze wäre angemessen und sinnvoll gewesen. Allerdings, um den Abstand zu den Löhnen zu wahren (wie es das Verfassungsgericht in seinem Urteil verlangte), verbunden mit einem fairen Mindestlohn für Arbeitsverhältnisse.

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